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„Bladdschwäddse in Brasilie“

23. 03. 2025

 

 

Georg Fox, ein saarländischer  Künstler und Schriftsteller im Bereich der Belletristik, Mundartdichtung und ehemaliger Schulleiter aus Saarbrücken.

 

„Bladdschwäddse in Brasilie“
Begegnung mit dem Riograndeser Hunsrückisch

 

Rund 200.000 Tausend Menschen sprechen in Deutschland noch den Hunsrücker Dialekt, in Brasilien aber sind es etwa eine Million – die Sprecher sind Nachfahren von Aussiedlern. Eine von ihnen ist Solange Hamester-Johann. Georg Fox hat sie getroffen, als sie den Ort ihrer „Heimatschbròòch“ besuchte. In Brasilien leitet sie ein Projekt zum Erhalt des Hunsrücker Dialekts, denn sie ist der Ansicht: „Yeete foleks xprooch is es heechste austruk fon sayne kultur“ – „Jedes Volks Sprache ist der höchste Ausdruck seiner Kultur.“
Das erste Schiff der großen deutschen Auswanderungswelle kam im Juli 1824 in Brasilien an. Danach folgten über Jahrzehnte zahlreiche Auswanderungsfahrten. Die lange Reise über den Rhein, Antwerpen, Bremen oder Hamburg und dann die Passage über den Ozean nach Südamerika dauerte damals ein halbes Jahr. Eine solche Entscheidung zu wagen, erforderte unendlich viel Mut. Außerdem kam man in Brasilien nicht ohne Probleme an. Zunächst war der Reiseweg sehr beschwerlich und natürlich auch sehr teuer. Oftmals hatte man viel zurückgelassen, denn man reiste mit einem „One-Way-Ticket“. Die Auswanderer erwarteten dann in Brasilien neue Überraschungen: Das Land musste urbar gemacht werden und die Unterkünfte waren kärgliche Hütten. Außerdem war der Traum vom besseren Leben meistens schon durch die Sprachprobleme belastet. Wer ein Handwerk beherrschte, konnte sich einigermaßen selbst helfen. Nur langsam entstanden erste Handelsbeziehungen. In der Auswanderer-Generation bewahrte man deshalb mit der eigenen Mundart ein Stück Heimat. Diese spürte man besonders dadurch, dass das „Hemmweh“ die Erinnerung an den Verlust der Heimat wachhielt. Die Hunsrück-Auswanderer ließen sich bei Porto Alegre nieder. Fertigkeiten in der Landbebauung und im Handwerk erleichterten den Start.
Im Kopf und im Herzen bewahrten die Menschen ihre „Mudderschbròòch“ jenseits des großen Teiches. Erstaunlich ist, dass sich diese Sprache über fast 200 Jahre erhalten hat. Es gibt in Brasilien heute noch viele Mundart-Sprecher, darunter etwa eine Million im südlichen Brasilien, insbesondere im Gebiet von Santa Cruz do Sul im Bundesstaat Rio Grande do Sul. Hier existieren viele Gemeinden, in welchen „Riograndenser Hunsrückisch“ aktiv gesprochen wird. Insgesamt bis zu drei Millionen Brasilianer sprechen Deutsch als Muttersprache. Damit ist Deutsch die zweithäufigste Muttersprache des Landes.
Versuch der Angleichung überstanden
Bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es (besonders im Süden) ganze Gemeinden, in denen ausschließlich Mundart gesprochen wurde, da die deutschen Auswanderer und deren Nachfahren über eine gute Infrastruktur aus Schulen und Vereinen verfügten und zumeist in relativ geschlossenen Kolonien lebten. Als während des autoritären Regimes des „Estado Novo“ („Neuer Staat“, eine von 1937 – 1945 bestehende Diktatur) eine Nationalisierungskampagne betrieben wurde, geriet die deutsche Gemeinschaft zunehmend unter Druck: Der Staat forcierte einen Assimilierungsprozess, also eine Angleichung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Der Eintritt Brasiliens in den Zweiten Weltkrieg bot dabei den entsprechenden Anlass, um die Sprachen der Feindstaaten zu verbieten und deutsche Schulen zu schließen, woraufhin das Portugiesische auch in den deutschsprachigen Ortschaften Einzug hielt. Die Nachfahren der Auswanderer haben ihren Dialekt in der neuen Heimat als hunsrückische Regionalsprache oder auch Hunsrücker Platt dennoch gepflegt.
Bei einer Buchmesse in Saargemünd im Rahmen der Aktion „Mir redde Pladd“ war auch Solange Maria Hamester-Johann aus Santa Maria do Herval, rund 75 Kilometer nördlich von Porto Alegre, vertreten. Ihre Großmutter stammt aus Hermeskeil, aus einer Familie Simon, der Großvater stammt von der Mosel. Bereits zum dritten Mal hat Solange die weitere Reise in unsere Gegend angetreten, um ihre Heimatsprache aufzufrischen. „Das iss unser Mudderschbròòch, Hunsrigger Bladd!“, sagt sie, die in Brasilien Leiterin des “Hunsrik Plat Taytx-Projekts” (Hunsrück-Platt-Deutsch-Projekt) ist. Sie spricht seit vier Jahren regelmäßig Mundart-Kommentare in Radiostationen, deren Programm in vier brasilianischen Bundesstaaten gesendet wird. Der Film „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz ist eine anschauliche Darstellung der Auswanderungsbewegung aus dem Hunsrück im 19. Jahrhundert. „Mier wolle das andworde, mier wolle e glaine Film andworde uff ‚Die andere Heimat‘ unn zeische, was daraus genn iss, was die Auswannerer ferdisch gebrung hann“, sagt Solange Hamester in ihrer Hunsrücker Sprachfarbe.
Hunsrückisch auch in den Grundschulen
Natürlich hätte man annehmen können, dass über eine so lange Zeitspanne und wegen der zeitweise ausgeübten staatlichen Repressionen die Mundart verschwindet. Da wurde aber wohl die Rechnung ohne den „Hunsrigger Diggkobb“ gemacht. Dazu Solange: „Die Sprache verliert sich nicht. Es gibt noch ältere Leute, die nie Portugiesisch gelernt haben. Unsere Mundart ist bei der UNESCO als eigenständige Sprache in Lateinamerika eingeschrieben. Seit zwei Jahren gibt es Gesetze, die Regierung hat sie unterzeichnet, nach denen unsere Sprache kulturell und historisch zur Erbschaft unseres Staates gehört.“ Als Lehrerin für Mundart unterrichtet Solange Hamester im Schulbereich der Grundschule. Alle Kinder ihrer Gegend bis hin zur 5. Klassen lernen Portugiesisch und die Mundart, ab der 6. Klasse kommen je nach Schulausbildung als Lernfach Hochdeutsch und Englisch, eventuell Spanisch dazu.
Auch mit Vorurteilen gegen die Mundart hat man in Brasilien zu kämpfen. Mundart gilt oft als verkehrtes Deutsch („Heggedeitsch“). Es gab sogar eine Zeit, da haben sich die Leute wegen ihrer Mundart geschämt. „Jedes Volk darf seine Identität behalten“ meint jedoch Solange Hamester, die ihr Sprachprojekt durch die internationale linguistische Gesellschaft unterstützt sieht, welche auch die spezielle Schreibweise der brasilianischen Komponente der „xeen Hunsrik-Xprooch“ entwickelt hat. Sie plädiert für eine Angleichung der Schreibweisen, um die Verständigung untereinander zu erleichtern.
Solange Hamester-Johann ist auch Mitglied des Subkomitees für Staatsbürgerschaft und Menschenrechte der offiziellen „Kommission zum 200. Jahr deutsche Einwanderung“, ist eine begeisterte Anhängerin des Lehrens, Wertschätzens und Praktizierens der deutschen Sprache in Brasilien. Sie arbeitet mit dem Ziel, dass Nachkommen von Einwanderern die gesprochene Sprache weiterhin nutzen und Wissen an jüngere Menschen weitergeben. Die Pädagogen sind zudem bestrebt, eine Schriftkultur für die Sprache zu verbreiten. “Sprache ist von grundlegender Bedeutung für die mündliche und schriftliche Weitergabe des kulturellen Erbes“, meinte Solange. Sie betont, dass die Hunsrück-Sprache in dieser Form etwa 1.500 Jahre alt sei.
Offiziell und per Gesetz kulturelles Erbe
Das Projekt für eine Verschriftung des Hunsrücker Dialektes begann im Februar 2004 mit der Ankunft des Linguistenteams der internationalen linguistischen Gesellschaft (International Society of Linguistics), um eine Schriftform für die Sprache in Brasilien und Südamerika zu entwickeln. Die
Arbeit sollte dazu beizutragen, diese Sprache in die unterschiedlich sprechenden Bundesstaaten und Gemeinden Brasiliens einzupassen. „Hunsrücker Dialekt“ als die am zweithäufigsten gesprochene Sprache des Landes umfasst dieses Sprach-Programm. Auch wurden pädagogische Handreichungen, Unterrichtsmaterialien und Seminare für Lehrkräfte erarbeitet. „Im Jahr 2012 wurde die Sprache ‚Hunsrik Plat Taytx‘ per Gesetzt zum historischen und kulturellen Erbe des Bundesstaates Rio Grande do Sul erklärt. Dann 2016 erklärte auch der brasilianische Staat Santa Catarina die Sprache zum immateriellen Kulturerbe“, erläutert Solange.
Ein weiteres Gesetz vom Februar 2022 erkennt die lokalen Sprachen und Kulturen als von relevantem kulturellem Interesse für den Bundesstaat Rio Grande do Sul an und führte den „Staatstag der Muttersprache und der lokalen Sprachen und Kulturen“ ein. Der Gouverneur selbst schrieb an Solange Hamester-Johann:
Ich lasse Sie (…) wissen, dass die gesetzgebende Versammlung das folgende Gesetz genehmigt hat und ich verkünde es demnach:
Art. 1: Lokale Sprachen und Kulturen werden als von relevantem kulturellem Interesse für den Bundesstaat Rio Grande do Sul anerkannt.
Art. 2: Am 21. Februar jeden Jahres, wird der Staatstag der Muttersprache und der lokalen Sprachen und Kulturen eingeführt.
Bücher wie „Der kleine Prinz“ übersetzt
Die engagierte Projektleiterin kann auch auf Texte in der Hunsrücker Sprache verweisen. Sie selbst hat nicht nur Werke wie „Mayn ëyerste 100 Hunsrik Wërter“ verfasst, sondern etwa auch „Te kleene Prins“ von Saint Exupéry in ihre Mundart übersetzt und als Buch publiziert – „mit Akwarële fom Autor“ ( mit Aquarellen vom Autor). Das Lesen der deutschen Regionalsprache ist zugegeben nicht immer ganz einfach, auch weil sie so konstruiert wurde, dass sie sich für Portugiesisch-Muttersprachler gut erschließen lässt. Viel einfacher und verständlicher ist es, die brasilianische Mundartsprecherin zu hören. Als kleines Beispiel ein Zitat aus dem Vorwort zu einer der Schriften: „Yeete foleks xprooch is es heechste austruk fon sayne kultur. Istorich tas woo ti layt sich aus xprëche, sayn sentimentales un sayne klaawe aus tuun. Es sin xon 180 yoer hëyer tsayt tas ti ëyerxte Xërmanixe layt in Prasil kewanert khom sin un fille keechente pewoont hon …“ (Übertragung: Jedes Volks Sprache ist der höchste Ausdruck seiner Kultur. Historisch betrachtet das, womit die Leute sich aussprechen, man seine Gefühle und seinen Glauben ausdrückt. Es ist schon 180 Jahre her, seit die ersten germanischen Leute nach Brasilien ausgewandert sind und viele Gegenden besiedelten …)
Eine Sprache, die sich über einen so langen Zeitraum lebendig erhalten hat, verbindet jetzt – offiziell und staatlich gefördert – den südwestdeutschen Raum mit dem brasilianischen Süden. Neue Verbindungen mit den Nachfahren der Auswanderer sind sogar entstanden. So berichtet auch Heribert Dämgen vom Heimatverein Gehlweiler, dass immer wieder Besucherinnen und Besucher in seinem kleinen Museum auf dem Hunsrück zu Besuch sind, um auf den Spuren einer früheren Heimat die Produktionsgegend des Auswanderungsfilms von Edgar Reitz zu erleben.
Georg Fox

Erschienen ist dieser Artikel in der Zeitschrift Sonah, der Ausgabe 32

 

Bild zur Meldung: Sonnenaufgang in Süd Brasilien

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